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Fletschhorn (3993m) --- beinahe
Sonntag, 05.09.2004

Ich habe trotz der vollen Hütte prima geschlafen und fühle mich fit, als die Hüttenwirtin um 4:15h das Licht anmacht. Der Ralle dagegen sieht geschafft aus. Er hat die ganze Nacht kein Auge zugetan - zuviele Leute und Geräusche.

Gegen 5:30h gehen wir los. Es ist noch finstere Nacht. Über uns funkeln die Sterne und der Mond tut sein Bestes, soviel Licht wie möglich zu spenden, doch ohne Stirnlampen ist an Gehen und vor allem an Wege finden nicht zu denken.

Wir finden die Abzweigung auf die Seitenmoräne des Tälli-Gletschers zum Fletschhorn problemlos und queren den Gletscher im ersten Licht. Er ist voller Schutt. Wären die Steine nicht alle zusammen gefroren und müssten wir nicht 2 Spalten umgehen, fiele gar nicht auf, dass wir uns auf einem Gletscher befinden.

Auf der gegenüberliegenden Seite finden wir unseren Pfad anhand eines grosses Steinmannls wieder und steigen steil in Schutt und Blockwerk auf. Wir verlieren den Pfad (genauer, die Steigspuren) ein paar Mal, finden ihn aber immer recht bald wieder.

Unter einem Felsabbruch treffen wir das erste Mal auf Schnee, nunja, hart gefrorenen Firn. Nach der Querung des Firnfeldes geht es in ziemlich rutschigem Schutt und in einem geforenen Bach nochmal sehr steil nach oben und dann stehen wir am Einstieg in den Gletscher.

Und was für ein Einstieg! Als 'Wenig Schwierig' ist die Tour auf das Fletschhorn im Führer eingeordnet. Hier stehen wir vor hart gefrorenem Blankeis (hier läuft tagsüber Wasser drüber, also hat es nicht mal das übliche morsche Eis aperer Gletscher oben drauf) mit einer Steigung von locker 45-50 Grad! Das übersteigt die erwarteten Schwierigkeiten deutlich.

Wir packen unsere Gletscher-Ausrüstung aus und rüsten auf. Ich bin sehr froh, dass unsere Eisen so scharf wie möglich sind. Während wir uns umziehen, donnern plötzlich Steine von oben an uns vorbei, von denen ein Kleiner dem Ralle aufs Mittelfinger-Gelenk der rechten Hand knallt.

Wir sprinten in Deckung und verziehen uns dann mit unserem Krempel nach unten hinter ein paar Felsen. Ist es hier wirklich so gefährlich? Wir sind unschlüssig, ob wir es riskieren können, dort hochzugehen. Dann entdecken wir eine Gämse. Aha, die war das also. Ralles Gelenk schwillt schnell an. Wir verfluchen uns dafür, die Steinschlaghelme daheim gelassen haben.

Um keine weiteren Steine von der Gämse zu riskieren, steigen wir von rechts unten in das steile Blankeis ein. Das sind etwa 10 Meter mehr zu gehen und mir ist gar nicht wohl, aber zumindest bis zur Felsinsel etwa 30 Meter über uns will ich gehen. Danach kommt der steile Gletscher und auch wenn wir da vorhin 3 Leute gesehen haben - ich habe das Gefühl, von derart steilem Eis überfordert zu sein. Naja, schau mer mal.

Ralle steigt als erster ein, ich folge. Das Eis ist gemein steil (auf dem Bild oben sieht mal das leider nicht so gut), aber es geht alles in allem besser als ich erwartet hatte. Bis zu dem Zeitpunkt als sich mein linkes Steigeisen vom Schuh löst.

Ich stehe auf dem rechten Eisen im Steileis, den Pickel ins Eis gekrallt, unter mir 20 Meter hartes blankes Eis, dann Geröll und ein Felsabbruch, über mir kein Seil und versuche verzweifelt, das linke Eisen wieder an den Schuh zu bringen. Als mir das mit Ralles Hilfe gelungen ist, steige ich mit wackeligen Knien auf die Felsinsel über mir. Mannomann, das war knapp!

Misstrauisch beäuge ich das steile Eis über mir. Da soll ich hoch? Ralle ist schon eingestiegen, ich folge langsam. Aber der Schock von grad eben sitzt mir noch in den Knochen. Nein, da gehe ich nicht ohne Sicherung hoch.

Ralle baut einen Stand (tolle Eisschrauben haben wir, gehen ins Eis rein wie Butter) und wir sichern das ganze steile Stück, etwa 250 Höhenmeter, hinauf. Oben auf dem Sattel zwischen Jegigrat und Fletschhorn machen wir dann erst mal Pause.

Mir liegt der Abstieg über das steile Eis im Magen und es ist wegen der aufwendigen Sichererei auch schon ziemlich spät. Ich wäre am liebsten direkt wieder umgedreht, immerhin sind wir schon auf 3600m, aber der Ralle sieht den Gipfel und möchte weiter. Gut, gehen wir.

Wir queren die Spaltenzone des Gruebi-Gletschers und mir fällt es zunehmend schwerer, die Steilstücke zwischen den Spalten zu bewältigen. Als wir an den nächsten steilen Aufstieg auf den Nordgrat kommen, streike ich. Ich kann nimmer. Und wir müssen ja auch noch über diesen gruseligen Eishang zurück.

Wie im Aufstieg sichern wir den Eishang hinunter. Der Abstieg geht besser, als ich befürchtet hatte, doch wir haben ein neues Problem: Die Aufstiegsroute wird jetzt, wo die Sonne und die warmen Temperaturen das Eis schmelzen, von einem schmutzigen Bach überspült und mit einem wahren Bombardement von bis zu metergrossen Felsen eingedeckt.

Wir halten uns weit links und hoffen, dass die Steine nicht so weit rüber kommen. Bis zur linken Seite der Felsinsel klappt das, dann aber verirrt sich der eine und der andere Stein auch mal nach links zu uns.

Eilends versuchen wir über die glattgeschliffenen, abfallenden, gletscherwasserüberspülten Glimmerfelsen abzusteigen. Es ist schwierig und geht bei weitem nicht so schnell, wie wir uns wünschen. Ohne Sicherungsmaterial (Keile, Friends) können wir leider keine Abseilstelle einrichten und müssen frei gehen, möglichst ohne den Abbruch ein Stück unter uns hinab zu fallen.

Als wir gerade mitten im Gletscherbach stehen und die beste Möglichkeit zum abklettern suchen, rumpelt es über uns sehr laut. Ein Blick nach oben und wir pressen uns beide mit dem ganzen Körper in den Bach, so nah am Fels wie möglich. Ein riesiger Felsbrocken hat den Weg nach links gefunden und ist auf dem Weg nach unten, genau dahin, wo wir sind. Wir wagen kaum zu atmen und trauen uns eine ganze Weile nicht mehr aufzuschauen, als der Felsen über uns zerspringt und Steine in alle Richtungen wegspringen.

Rutschend, und springend, beinahe alle Vorsicht vergessend, retten wir uns auf den Absatz über dem Felsabbruch. Hier sind wir ein wenig vor den fallenden Steinen geschützt, aber wir müssen die Falllinie der Steine queren, um weiter absteigen zu können.

Während einer 'Wache hält' und im Fall des Falles eine Warnung rufen muss, muss der andere so schnell wie möglich den Bach und den umgebenden steilen Schutt queren und an der gegenüberliegenden Felswand Schutz suchen. Ralle läuft los, ich beobachte mit Adleraugen den Eishang über ihm. Dann bin ich dran. Kaum zu glauben, wie schnell man mit der richtigen Motivation in schwerem Gelände sein kann.

Den weiteren Abstieg nehmen wir weit rechts unter der Felswand der Jegigrates über grosse Blöcke. Wir sind schnell und machen erst Pause, als wir weit unterhalb des Einzugsbereiches der fallenden Steine sind.

Dann schauen wir fasziniert und unendlich erleichtert zu, wie dort oben immer wieder grosse und kleine Felsbrocken abrutschen, abkugeln und in alle Richtungen zerspringen. In so einer gefährlichen Situation wie da oben waren wir noch nie.

Der weitere Abstieg ist einfach, wenn auch auf dem Tälligletscher ziemlich matschig, weil auch dort die Oberfläche mit all dem Schutt und den Steinen angetaut ist. Nach beinahe 12 Stunden erreichen wir wieder die Weissmieshütten, wo wir uns und all unser Zeug in der Sonne fallen lassen.

Am nächsten Tag erfahren wir von der Hüttenwirtin, dass man zu Zeit alles ausser dem Fletschhorn machen kann. Ja, das hätten wir mal besser vorher erfragt!

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