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Piz Palü Überschreitung
Dienstag, 28.08.2001

Als mein Wecker um 5 Uhr piepst, rührt sich ausser uns noch niemand. Wir schleichen aus dem Lager und packen unseren Kruscht im dunklen Hauptraum der Hütte im Schein der Stirnlampen zusammen.

Es dauert nicht lang, da kommt einer der Wirte aus dem Nebenraum geschlurft, macht das Licht an und beginnt Frühstück zu machen. So langsam tauchen auch die Anderen auf. Waschen muss leider ausfallen, weil die Gletscherwasser-Waschgelegenheit eingefroren ist. Brrr! Es ist ganz schön kalt draussen.

Nach einem kurzen Frühstück (mit gutem Kaffee) legen wir wieder unser ganzes Gletscher-Gerödel an und ziehen die warmen Jacken und Handschuhe drüber.

Bernina in der Früh Was gestern tiefer Sulz war, ist jetzt hart gefrorener Firn. Das Laufen geht so viel leichter. Hilfreich ist natürlich auch, dass wir (nun ja: ich) inzwischen, wieder völlig erholt sind. Der Aufstieg zu den Bellavista-Terrassen, vor dem es mir gestern noch fürchterlich graute, fällt uns relativ leicht, obwohl es ziemlich steil ist.

Wir queren die Belavista-Terrassen so weit oben, dass wir vor der Furcola Bellavista sogar ein paar Meter absteigen müssen, um von der grossen Wächte runter zu kommen.

Ralle vr dem Spinasgrat Wir nähern uns dem Spinasgrat im Schatten. Es ist noch immer ziemlich kalt, so dass an Klettern ohne Handschuhe nicht zu denken ist. Wir haben Faserpelz-Handschuhe an, bei denen man notfalls die Finger durch einen Schlitz in der Handfläche stecken kann, wenn ein sicherer Griff nötig ist.

Wir gehen den Spinas-Grat ebenfalls ohne Seil an. Das Seil ist oben in Ralles Rucksack verstaut, wo wir es im Fall des Falles schnell heraus holen können. Die Kletter-Kombination lassen wir natürlich an.

Der Spinasgrat ist eigentlich weniger ein Felsgrat als ein lang gestreckter Haufen sehr groben Gerölls. Die Blöcke liegen zwar fest aufeinander, doch muss man ein wenig aufpassen - immer wieder gibt es Blöcke, die wackeln. Vor allem beim freien Gehen auf dem Grat ist das unangenehm. An manchen Stellen ist eine dünne Eisschicht auf den Felsen, im Grossen und Ganzen ist der Grat jedoch trocken, griffig und fest.

Wir wissen, dass wir auf dem Grat bleiben müssen. Als wir aber an eine flache Steilstelle ohne viele Griffe kommen, beschliessen wir, diese Stelle rechts zu umgehen.

Das erweist sich als Fehler, denn wir müssen immer weiter absteigen und kommen irgendwie nicht mehr auf den Grat zurück. Gerade als wir umdrehen wollen, finden wir doch eine Rinne, die auf den Grat zu führen scheint.

Leider erweist sich ein Teil der Rinne als fürchterlich brüchig. Zudem ist der Schwierigkeitsgrat hier stellenweise III (statt II wie auf dem Grat). Trotzdem können wir eigentlich problemlos hochklettern. Nur als sich einmal ein grosser Geröllblock genau unter meinen Füssen löst und ich nur noch mit einem Sprung nach vorne reagieren kann, kriegen wir beide einen rechten Schreck.

Auf dem Grat ist alles wie gehabt: mässige Schwierigkeiten, griffiger Fels. Ralle ist etwa 5 Meter vor mir und ich bin im Begriff mit einem grossen Schritt von einem Block auf den nächsten zu steigen, als es unter mir zu Grollen beginnt und ich das Gefühl habe, der Fels bebe unter mir.

'Ein Felssturz! Genau unter Dir!' ruft mir der Ralle zu. Ich sehe, wie rechts neben mir ein Haufen Geröll über die Wand unter mir stürzt und auf dem Gletscher darunter landet. Der eisige Wind treibt eine grosse Staubwolke Richtung Piz Palü und ich steige vorsichtig mit wackeligen Knien weiter.

Wir sind uns nicht sicher, ob wir diesen Felssturz durch unseren Versteiger ausgelöst haben oder ob der so oder so passiert wäre. Wir sind jedenfalls zutiefst dankbar, dass wir nicht mehr in der Wand waren, als die Felsen runter stürzten.

Der weitere Weg auf den Piz Spinas (Westgipfel des Piz Palü) und am letzten steilen Felszacken vorbei ist nicht mehr schwierig und ist schnell vorbei. Bevor wir uns wieder anseilen und die Steigeisen anlegen, machen wir eine kurze Pause. Der warme Tee tut wirklich gut.

Ralle vor dem Ziel Der Aufstieg zum Hauptgipfel des Piz Palü ist zwar steil, aber nicht mehr weit. Eine Viertelstunde später stehen wir auf dem berühmten Berg. Der Ralle gesteht mir, dass er leichten Herzens auf die Bernina verzichten konnte, denn sein eigentliches Zeil war der Piz Palü. Von dem hatte er schon geträumt, als er nicht mal daran dachte, jemals bergsteigen zu gehen (das liegt an einem Louis-Trenker-Film, 'Weisse Hölle am Piz Palü', den er als Kind mal sah).

Der schmale Grat Nach einem ausgiebigen Rundblick machen wir uns auf den Weg zum Ostgipfel. Dazu müssen wir über den abenteuerlich schmalen Firngrat in die Senke zwischen Ost und Hauptgipfel. Ich denke an meine Mom und ob sie das schrecklich fand oder nicht (war OK, meinte sie hinterher, der vereiste Fortezza-Grat sei schlimmer gewesen).

Der Abstieg auf die Ostschulter fordert uns noch mal. Es geht sehr steil in einer ausgetretenen, inzwischen sulzig gewordenen Spur, deren Stufen von unseren Vorgängern leider zertreten wurden, bergab. Ich finde es unangenehm, aber wir gehen vorsichtig und kommen ohne Zwischenfall auf dem kleinen Plateau unter uns an.

Dort treffen wir ein letztes Mal die beiden Österreicher, machen ein Foto von den beiden, lassen und fotografieren und verabschieden uns dann. Die beiden müssen im Eiltempo zu ihrem Zug, wir haben Zeit.


Wir steigen gemächlich ab. Mir ist es im wilden Cambrena-Einbruch ein wenig unangenehm, denn es ist sehr warm und der Schnee ist weich und sulzig. Ich habe ein wenig Bedenken, ob die Schneebrücken über die beeindruckenden Spalten fest genug für uns sind. Ich habe keine Lust, Spaltenbergung in echt zu üben.

Der Ralle hat keinerlei Bedenken in der Richtung und fotografiert begeistert nahezu jede grosse Spalte - und es hat viele grosse Spalten hier.

Schliesslich haben wir den Eisbruch hinter uns und nur noch die lange Querung des Firnfeldes vor dem Piz Cambrena vor uns. Diese Querung zieht sich .... uns ist heiss und wir haben keine Lust mehr, als wir endlich am Ende des Firnfelds ankommen. Wir machen erst mal Pause und packen in aller Gemütlichkeit das Seil, die Kletter-Ausrüstung, die Steigeisen und die warme Kleidung weg.

Der restliche Weg zur Diavolezza-Bahn ist länger als wir dachten und folglich auch ein wenig nervig. Wir hatten uns vorgestellt, jetzt nur noch um diesen Buckel vor uns, Piz Trovat, gehen zu müssen und dann wären wir da. Es ist nicht ganz so, aber nach einer Dreiviertelstunde sind wir dann doch da.

Wir gönnen uns zwei Radler und begucken uns 'unsere' Berge noch mal lang und genau. Die Aussicht von der Diavolezza ist gigantisch!

Dann steigen wir in die Bahn und fahren runter. Auf die rätische Bahn wollen wir nicht warten, also laufen wir die 5 Kilometer nach Morteratsch. Das sind die anstrengendsten 5 Kilometer des ganzen Tages! Als wir am Auto ankommen, sind wir hin und alle.

Unsere Füsse sehen bedauernswert aus. Ich habe mir das rechte Schienbein aufgelaufen, der Ralle hat eine riesige Druckstelle am linken Fuss. Wir kühlen unsere geschundenen Treter im Gletscherbach, das tut gut.

Nachdem wir im Hotel Morteratsch 'Spätzli mit Speck und Käse' gegessen und einen Expresso getrunken haben, machen wir uns auf die Heimfahrt, die völlig problemlos verläuft. Um halb 10 Uhr sind wir daheim.

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